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Gesetzliche Un­fall­ren­te: Die Tü­cken einer Er­werbs­min­de­rung

24.10.2016

Inwieweit nach einem Arbeitsunfall der Grad der Erwerbsminderung darüber entscheidet, ob ein Verunfallter eine Verletztenrente von der gesetzlichen Unfallversicherung erhält und welche Probleme es bei der Festlegung des Erwerbsminderungsgrades geben kann, belegt ein Gerichtsurteil.

(verpd) Auch wenn unstrittig ein Arbeitsunfall vorliegt, steht einem Versicherten erst dann eine Verletztenrente zu, wenn die Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 Prozent gemindert ist. Dabei muss die Bewegungseinschränkung erheblich sein. Dies ist der Tenor eines Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Az.: L 8 U 5044/13).

Ein Mann arbeitete für einen Kartonhersteller. Als er im Mai 2007 versuchte, eine 90 Kilogramm schwere Palette, die auf dem automatischen Rollenband hängengeblieben war, leicht anzuheben, zog er sich einen Riss der rechten Bizepssehne zu. Danach war er zwei Monate arbeitsunfähig, arbeitete aber immer noch weitere sechs Jahre an seinem alten Arbeitsplatz, bis er eine krankheitsbedingte Kündigung bekam und einen Vergleich annahm.

Auch das Integrationsamt stimmte der Kündigung zu, weil es die Gesundheits-Beeinträchtigungen des Mannes als sehr schwer einstufte und kein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden sei. 2011 beantragte er die Anerkennung als Arbeitsunfall, die zunächst vom gesetzlichen Unfallversicherungs-Träger abgelehnt, später dann aber anerkannt wurde. Eine Verletztenrente wollte der Träger allerdings nicht zahlen, weil laut einem eingeholten orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachten die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nicht gegeben seien.

Abwägung der Gutachten

Nach einem erfolglosen Widerspruch erhob der Mann 2012 Klage vor dem Sozialgericht Mannheim. Wegen seiner sehr starken Schmerzen wollte er eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent und damit den Anspruch auf eine Verletztenrente anerkannt haben. Das Sozialgericht wies die Klage zurück. Es sah noch nicht einmal eine Minderung um zehn Prozent gegeben. Dafür seien die Bewegungs-Einschränkungen des rechten Ellenbogengelenks zu geringfügig.

Dagegen legte der Kläger Berufung ein. Er verwies auf die Kündigung des Arbeitsplatzes sowie die Stellungnahme des Integrationsamts und legte Gutachten von drei Radiologen vor. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg kam nach Abwägung aller Gutachten, auch der Gegenseite, zu dem Ergebnis, dass das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hatte.

Anspruch auf eine Verletztenrente bestehe nur dann, wenn die Erwerbstätigkeit infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um mindestens 20 Prozent gemindert ist, wobei mehrere Versicherungsfälle zusammengezählt werden können. Dabei seien die Folgen nur dann zu berücksichtigen, wenn sie pro Fall mindestens zu einer zehnprozentigen Einschränkung führen. Dazu lagen dem Gericht mehrere ärztliche Gutachten vor, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, wobei sich die Mediziner teilweise gegenseitig die Kompetenz absprachen.

Differenzierung zwischen beugen und strecken

Nach Abwägung aller Gutachten kam das Gericht zu dem Schluss, dass es einem gerichtsbekannten Gutachter folgen wollte. Danach gibt es einen Unterschied zwischen Streck- und Beugedefiziten, wobei Erstere weniger gravierend seien. Bei einer Bewegungseinschränkung für Streckung/Beugung zwischen null, 30 und 90 Grad wäre eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent anzunehmen, bei einer Einschränkung zwischen null, 30 und 120 Grad nur von zehn Prozent.

Laut Gutachten betrug beim Kläger die Beweglichkeit des rechten Ellenbogens zwischen null, zehn und 130 Grad, sodass das Gericht gar keine Minderung der Erwerbsfähigkeit gegeben sah. Auch die angegebenen Schmerzen hielt es in diesem Zusammenhang nicht für erheblich.

Die Angabe des Klägers, die Unfallfolgen hätten zu Depressionen und einem Herzinfarkt geführt, waren nach Auffassung des Gerichts nicht bewiesen. Deshalb wurde die Berufung zurückgewiesen und eine Revision nicht zugelassen.

Wenn der gesetzliche Schutz verweigert wird

Wie der Fall zeigt, ist es nicht einfach nachzuweisen, dass die Gesundheitsbeschwerden, die durch einen Arbeitsunfall verursacht werden, so massiv sind, damit die Anspruchs-Voraussetzungen für eine entsprechende Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung erfüllt sind.

Und selbst wenn eine Anerkennung erfolgt, muss man mit Einbußen im Vergleich zum bisherigen Einkommen rechnen. Denn die Höhe der Verletztenrente ist in der Regel niedriger als die Einkommenseinbußen, die man durch die gesundheitlichen Einschränkungen, die nötig sind, um überhaupt eine solche Rente zu bekommen, nach einem Arbeitsunfall hat.

Die private Versicherungswirtschaft bietet zahlreiche Lösungen an, um sowohl einen fehlenden gesetzlichen Versicherungsschutz als auch die eventuell durch Unfall oder Krankheit auftretenden Einkommenslücken abzusichern. Zu nennen sind hier eine private Erwerbs- oder Berufsunfähigkeits-Versicherung. Ein Versicherungsfachmann hilft, den individuell passenden Versicherungsumfang zu finden.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

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