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Selbstjustiz im Straßen­verkehr kann teuer werden

15.08.2017

Autofahrer, die sich nicht im Griff haben, haben vor Gericht in der Regel schlechte Karten. So auch im Fall eines Auffahrunfalls, über den das Amtsgericht Solingen zu befinden hatte.

Wer absichtlich nur deshalb scharf abbremst, um den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu disziplinieren oder zu maßregeln, haftet für die Folgen eines Auffahrunfalls zu 100 Prozent. Das gilt selbst dann, wenn der Auffahrende den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis dafür, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat, nicht entkräften kann. Dies zeigt ein Urteil des Amtsgerichts Solingen (6. Januar 2017 – 13 C 427/15).

Nach einem Bericht der Deutschen Anwaltshotline war die Klägerin mit ihrem Personenkraftwagen innerorts unter Einhaltung des vorgeschriebenen Tempolimits unterwegs. Ihr folgte das Fahrzeug der Beklagten und zwar in so bedrängender Weise, dass die Klägerin einen Auffahrunfall befürchtete.

Fingergeste

Ihrer Empörung machte die Klägerin durch eine Fingergeste Luft. Doch das wollte der Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten (nachfolgend kurz „Beklagter“) nicht auf sich sitzen lassen. Er überholte die Klägerin, stieg an der nächsten auf Rotlicht zeigenden Ampel aus dem Fahrzeug aus und begab sich zu der hinter ihm haltenden Klägerin, um sie zur Rede zu stellen.

Die ließ sich jedoch nicht provozieren, sondern filmte die Szene mit ihrem Smartphone. Das brachte den Beklagten offenkundig noch mehr in Rage. Denn wenige Meter, nachdem er mit dem von ihm gefahrenen Fahrzeug bei Grünlicht angefahren war, verlangsamte er plötzlich seine Fahrt und brachte das Auto unmittelbar darauf durch eine Vollbremsung zum Stehen. Die Klägerin konnte darauf nicht schnell genug reagieren und fuhr auf das Fahrzeug auf.

Der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer der Beklagten ging davon aus, dass die Klägerin als Auffahrende ganz überwiegend für den Unfall verantwortlich war. Er wollte sich daher lediglich mit einer Quote von 25 Prozent an ihren schadenbedingten Aufwendungen beteiligen.

Doch dem wollte sich das Solinger Amtsgericht nicht anschließen. Es gab der Klage der Frau in vollem Umfang statt.

Kein verkehrsbedingter Anlass

Nach Anhörung eines Unfallzeugen zeigte sich das Gericht davon überzeugt, dass kein verkehrsbedingter Anlass für die Vollbremsung des Beklagten bestand. Er habe das Fahrzeug ganz offensichtlich nur deswegen abrupt zum Stehen gebracht, um die Klägerin zu maßregeln. Mit einem derart groben verkehrswidrigen Verhalten habe diese jedoch nicht rechnen müssen.

Zwar müsse der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich abgebremst wird. Diese Regel ist nach Ansicht des Gerichts bei einem Anfahren bei Grün jedoch nicht anwendbar. Denn andernfalls würden die Grünphasen nicht ausgenutzt werden können und der Verkehr behindert werden.

Nach Meinung des Gerichts stellt das Verhalten des Beklagten vielmehr einen Akt der Selbstjustiz dar. Das aber sei selbst dann nicht hinnehmbar, wenn sich der Beklagte, wie von ihm behauptet, durch die Klägerin beleidigt gefühlt haben sollte. Er sei daher allein für den Auffahrunfall verantwortlich.

„Denn wer absichtlich nur deshalb scharf abbremst, um den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu disziplinieren oder zu maßregeln, haftet für die Folgen eines Auffahrunfalls selbst dann zu 100 Prozent, wenn der Nachfolgende den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis dafür, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat, nicht entkräften kann“, heißt es dazu abschließend in der Urteilsbegründung.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

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