Open Nav Beratung anfordern

Versicherer wer­den für Drit­te nicht trans­pa­ren­ter

27.10.2016

Mit dem neuen Eigenkapitalregime Solvency ll lassen sich starke von schwachen Versicherern nicht wirklich unterscheiden. Auf der diesjährigen Bonner Solvency-Konferenz gab es alte Klagen und neue Projekte.

Das neue Eigenkapitalregime Solvency ll bleibt eine Baustelle, auf der noch vieles geändert und vor allem Komplexität abgebaut werden muss. Dies wurde auf der sechsten von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht organisierten Solvency-ll-Konferenz deutlich. Dort zeigte sich auch, dass es mit der erhofften Vergleichbarkeit von Unternehmen für Außenstehende nur bedingt gut gestellt ist.

Auch wenn Solvency ll langfristig Vorteile für Kunden und Branche habe und wirklich „nötig ist und war“, so sei es doch ein „Irrglaube“, dass damit Markttransparenz hergestellt werden könne. Dies sagte Ulrich Leitermann, Chef der Versicherungsgruppe Signal-Iduna, am Mittwoch auf der Fachkonferenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht (Bafin).

Nicht alles gleich

Die Zahlen seien sehr volatil und die Unternehmen seien gut beraten, damit nicht zu werben, so Leitermann. „Das ist ein Bumerang, der kommt zurück“, meinte er. Solvenz-Zahlen müssten interpretiert werden. Alles andere führe in die Irre und würde letztlich Kunden verunsichern.

Dr. Frank Grund, Bafin-Exekutivdirektor Versicherung, hatte mit Blick auf die ersten Ergebnisse zur Kapitalausstattung nach dem neuen System („Day 1“-Reporting) bemerkt, dass die Solvenzquoten der Unternehmen „nicht ohne Weiteres“ zu vergleichen seien.

Die Unternehmen berechnen die Solvenz letztlich unterschiedlich. Dies ist eine Folge der Anwendung der Standardformel oder eines unternehmenseigenen Modells, der Nutzung oder Nicht-Nutzung von Übergangsmaßnahmen sowie der Bewertungsspielräume durch die prinzipienbasierte Risikobetrachtung.

Übergangsmaßnahmen in Fokus

Zur Sicherung ihrer Solvenz nutzen 53 von 84 Lebensversicherer die Übergangsmaßnahmen. „Damit hat für die Unternehmen und die Bafin die Arbeit erst begonnen“, sagte Grund.

Analog der bisherigen HGB-Projektions-Rechnung zu den Eigenmitteln werde die Aufsicht die Unternehmen in „engem Dialog“ bis 2032 bei den Plänen und Maßnahmen zur Erreichung der nötigen Eigenmittel begleiten.

Grund sprach von regelmäßigen Fortschrittsberichten und plant, auch Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer einzubeziehen. Seien die Pläne der Unternehmen unrealistisch, werde man die Erlaubnis für die Inanspruchnahme der Übergangsmittel widerrufen.

Dann müsse das betroffene Unternehmen innerhalb von zwei Monaten einen realistischen Sanierungsplan vorlegen und binnen weiterer sechs Monate die entsprechende Eigenmittelbedeckung realisiert haben, andernfalls drohen weitere Schritte. „Ein solcher Eskalationsprozess ist derzeit aber nicht erkennbar“, so Grund.

Grund, Schaumlöffel, Leitermann (Bild: Lier)
V.l.n.r.: Frank Grund, Kay-Uwe Schaumlöffel, Ulrich Leitermann (Bild: Lier)

Am Pranger – aber anonym

Im Rahmen einer transparenten Aufsichtskultur will Grund künftig alle bestandskräftigen Verwaltungsakte im Internet veröffentlichen. Unter Berücksichtigung aller Interessen sei es möglich, dass die Unternehmen in solchen Veröffentlichungen anonym bleiben.

Ziel sei es, so Missstände zu verhindern. Des Weiteren mahnte er die Unternehmen wiederum an, ihre Kosten, vor allem die Vertriebskosten, zu senken.

In Sachen Digitalisierung erzeugen nach den Worten von Grund viele Fachveranstaltungen zurzeit den Eindruck „reger Aktivität“, die allerdings doch „noch begrenzt“ sei. Verschiedene Versicherer führten Experimente durch und es sei noch nicht absehbar, ob dies zum Wandel des Geschäftsmodells führe oder nur zu einer „normalen“ Anpassung des Geschäftsbetriebs.

Kenntnisse selbstverständlich

Natürlich müsse das Corporate-Governance-System Cyber-Risiken erfassen oder auch die Risiken, welche eine Ausgliederung der IT auf Dienstleister mit sich bringen könnte. Mit Blick auf die jungen Firmen merkte Grund an, dass „Gründer von Insurtechs selbstverständlich auch etwas von Versicherung verstehen sollten“.

Bisher gebe es erst einen Antrag eines Krankenversicherers, der voll digital arbeiten will, sagte Grund. Die Aufsicht stelle sich darauf ein, dass die Digitalisierung weitere Kernprozesse erfassen wird.

Mehr Kenntnisse erwartet die Aufsicht künftig auch von den Aufsichtsräten. Hier will Grund bei der Neubestellung, aber auch bei den schon agierenden „verstärkt darauf achten, dass der Aufsichtsrat auch seine Aufgaben wahrnehmen kann“.

Eindrucksvolle Zahlen

Leitermann hatte in seinem Vortrag eindrucksvolle Zahlen für den hohen bürokratischen Aufwand – allein 20 Millionen Euro Entwicklungs- und Vorbereitungskosten sowie weitere 3,5 bis vier Millionen Euro laufende jährliche Kosten für sein Haus – vorgestellt.

Unabhängig von den Vorteilen des Systems müsse das Regelwerk entschlackt werden, weil es sonst „Haftungsrisiken provoziert“. Auch der Umfang der Berichterstattung müsse gemindert und die Terminologie verschiedener Rechnungslegungs-Standards vereinheitlicht werden.

Die Solvabilitätsübersicht dürfe nicht zu einer zweiten „Abschlussprüfung“ führen. Er wendet sich auch dagegen, dass die mit verschiedenen Verbänden erarbeiteten Verfahren wie das Branchensimulations-Modell in der Lebens- und das inflationsneutrale Bewertungsverfahren in der Krankenversicherung von den Wirtschaftsprüfern nochmals unternehmensindividuell überprüft würden.

Keine Absenkung

Zudem gehe es darum, das neue System erst einmal „zu leben“, statt wieder neue Maßnahmen einzuführen. Konkret geht es bei Letzterem um die von der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (Eiopa) vorgeschlagene Absenkung des langfristigen Gleichgewichts-Zinssatzes (Ultimate Forward Rate) von 4,2 auf 3,7 Prozent.

Hiergegen wendet sich auch die Aufsicht. Grund fürchtet, dass eine Absenkung zu einem „selbsterfüllenden Teufelskreis“ werden kann, weil die Unternehmen gezwungen wären, Vermögenswerte zu verkaufen. Die Entscheidung obliege letztlich der Kommission, so Grund. Er hält die von dieser vorgetragenen Notwendigkeit für „wenig plausible“.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

zurück