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Warum Pfle­ge­haus­hal­te über­for­dert sind

20.06.2017

Familienmitglieder, die ihre Angehörigen pflegen, müssen auf vieles verzichten. Was sie riskieren und welche Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung betroffene Haushalte nutzen, zeigt die Pflegestudie der Hans-Böckler-Stiftung.

Je nach Pflegestufe nimmt die zeitliche und finanzielle Belastung der Pflegenden zu. Die meisten Hauptpflegepersonen im erwerbstätigen Alter können gar nicht oder nur in Teilzeit arbeiten. Das fanden die Autoren der Studie „Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten“ der Hans-Böckler-Stiftung heraus. Externe Hilfsangebote werden häufig nur selten genutzt. Entweder bestehe laut der Befragten kein Bedarf, oder der Pflegebedürftige verweigere externe Dienste. Das belaste den Pflegenden zusätzlich.

In der Studie „Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten“ der Hans-Böckler-Stiftung untersuchen die Autoren die zeitlichen und finanziellen Aufwendungen privater Haushalte für die häusliche Versorgung von Pflegebedürftigen.

In die Auswertung wurden Befragungsergebnisse von 1.024 Pflegehaushalten in Deutschland einbezogen. Um an die Adressen der Haushalte mit Pflegebedarf zu gelangen, kooperierte die Stiftung mit fünf regionalen Allgemeinen Ortskrankenkassen und vier Ersatzkassen. Die Krankenkassen setzten sich dann mit 21.000 in Frage kommenden Versicherten in Kontakt. Die letztendliche Befragung erfolgte telefonisch.

Die empirische Untersuchung wurde von November 2015 bis Juni 2016 durchgeführt. Aufgrund des Erhebungszeitraums wurden in der Studie die bis Ende 2016 geltenden Bezeichnungen der Pflegestufen 0, I, II und III verwendet. Seit dem 1. Januar 2017 jedoch erfolgt nunmehr gemäß der Pflegereform und dem seit 2016 geltenden Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) eine Einstufung in fünf Pflegegrade.

Pflegende stecken oft doppelt zurück

Mit steigender Pflegestufe wachsen die zeitlichen und finanziellen Belastungen in der häuslichen Pflege. Um dem pflegebedürftigen Angehörigen gerecht zu werden, schränken sich Pflegende beruflich häufig ein. Unter den 422 Pflegenden im erwerbstätigen Alter gingen 40 Prozent keiner Erwerbstätigkeiten nach, jeder Vierte arbeitete zum Befragungszeitpunkt in Vollzeit und rund 30 Prozent in Teilzeit.

Erwerbstaetigkeit Pflegepersonen (Bild: Hans-Boeckler-Stiftung)
74 Prozent der Pflegenden im erwerbstätigen Alter arbeiten nicht oder in Teilzeit (Bild: Böckler-Stiftung)

Es gelingt den Angehörigen demnach eher selten, die Pflegetätigkeit und eine uneingeschränkte Berufstätigkeit zu verbinden. Damit verzichten Pflegende nicht nur auf ein volles Einkommen, sondern sind trotz der verbesserten Rentenansprüche für Pflegende vermutlich dem Risiko der Altersarmut ausgesetzt, heißt es in der Untersuchung.

Die Autoren fanden zudem heraus, dass ein Großteil der befragten Pflegehaushalte keine Angebote wie etwa Pflegeberatung, aber auch keine professionellen Hilfeleistungen nutzt. Alle Hilfen, die als Sachleistung in der Pflegeversicherung verankert seien, würden von den Pflegehaushalten nur in eingeschränktem Maße in Anspruch genommen werden, heißt es weiter.

Bedürftige lehnen Pflegedienste oft ab

Von den 938 befragten Haushalten, die Anspruch auf Leistungen hatten, wählten 64 Prozent das Pflegegeld, 17 Prozent Pflegesachleistungen und 19 Prozent eine Kombination aus beiden Leistungen. Diejenigen, die keine Sachleistungen bezogen, erhielten im Durchschnitt 379 Euro monatlich.

Warum meist nur Pflegegeld in Anspruch genommen wurde, beantworteten die Befragten damit, dass es keinen Bedarf für die Leistungen eines Pflegedienstes gebe. Ein ebenfalls nennenswerter Anteil gab an, dass die Pflegebedürftigen externe Hilfen grundsätzlich ablehnen würden. So könne kein ambulanter Pflegedienst eingesetzt werden.

Nicht-Nutzung von Pflegediensten (Bild: Hans-Boeckler-Stiftung)
Pflegedienste werden am häufigsten nicht genutzt, weil kein Bedarf besteht oder der Pflegebedürftige sie ablehnt (Bild: Böckler-Stiftung)

Dass sich damit der Druck auf den Pflegenden erhöht, werde zunächst in Kauf genommen. Die Pflegenden akzeptieren diese ablehnende Haltung meist über einen langen Zeitraum hinweg und begeben sich dadurch selbst in eine Überforderungssituation, erklären die Autoren.

Skepsis und Unwissen gegenüber Hilfsangeboten

Wenn betroffene Haushalte Hilfsangebote nutzen, dann solche, die im häuslichen Umfeld unkompliziert eingesetzt werden können. Am häufigsten wurden die ambulante Pflege und die Verhinderungspflege in Anspruch genommen. Teilstationäre Tages- oder vollstationäre Kurzzeitpflege (bis zu vier Wochen pro Kalenderjahr) wurden nur von wenigen Teilnehmern genutzt.

Die Autoren vermuten jedoch, dass die beiden letzteren Angebote auch bei weiteren Ausbaumaßnahmen keinen größeren Zuspruch finden werden. Beispielhaft wird hier der Ortswechsel in der Tagespflege bei Demenzkranken genannt. Betroffene Haushalte standen dem skeptisch gegenüber, da sich die Krankheit durch ein ständig wechselndes Umfeld verschlimmern könnte.

Ein weiterer Grund dafür, warum die umfassenden Angebote nicht verbreitet sind, sei, dass die Haushalte oft gar nicht oder nur unzureichende Informationen – im Besonderen zu neueren Hilfeleistungen – erhalten würden.

Hier zeigte sich auch, dass Haushalte aus bildungsfernen Schichten, die häufig auch nur über ein geringes Einkommen verfügen, derartige Leistungs- und Beratungsangebote weniger nutzen, als höher gebildete und besser verdienende. Man erreiche diese sozial benachteiligten Haushalte sehr schwer, was wiederum die soziale Ungleichheit in der Pflege vergrößere.

Studie als Ausgangspunkt für Wirkung des PSG II

Die Autoren sehen ihre Studie als Bestandsaufnahme vor der Pflegereform. Sie könne als Referenz herangezogen werden, um die Wirkung und den Erfolg des PSG II künftig empirisch zu belegen.

„Entscheidende Kriterien dürften dabei sein, ob sich die zeitlichen Belastungen künftig verringern, ob die Beratungs- und Hilfeangebote stärker genutzt werden und ob es gelingt, dass pflegende Angehörige existenzsichernde Erwerbsarbeit und Pflegeaufgaben miteinander vereinbaren können“, resümieren die Studienherausgeber.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

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