Open Nav Beratung anfordern

Ge­fahren durch Lithi­um­bat­te­rien werden un­ter­schätzt

20.07.2016

Moderne Stromspeicher verbreiten sich immer mehr, sorgen aber auch zunehmend für spektakuläre und existenzbedrohende Schadenfälle. Wie Anwender und die Versicherungswirtschaft sich auf die Herausforderungen einstellen können, erklärt Risikoexperte Dr. Michael Buser im Interview.

Welche Gefahren von den modernen Stromspeichern ausgehen, welche besonderen Herausforderungen sie für Personensicherheit und Brandschutz darstellen und wie sich Anwender und Versicherungswirtschaft am besten darauf einstellen können, erläutert Dr. Michael Buser, Geschäftsführer der Risk Experts Risiko Engineering GmbH, im Interview.

Redaktion: Sie haben als Geschäftsführer der Risk Experts Risiko Engineering GmbH mehrfach auf das Risiko von Lithiumbatterien hingewiesen. Wieso ist dieses Thema für die Versicherungsbranche relevant?

Michael Buser (Bild: Risk Experts)
Michael Buser (Bild: Risk Experts)

Dr. Michael Buser: Lithiumbatterien halten in allen Bereichen des täglichen Lebens vermehrt Einzug und sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Insbesondere der Boom bei mobilen elektronischen Kleinanwendungen (Smartphones, Notebooks, Kameras, et cetera) hat zur massenhaften Verbreitung von Lithiumbatterien geführt.

Wenn man seriöse Pressequellen aufmerksam verfolgt, stößt man im Zusammenhang mit Lithiumbatterien unweigerlich auf Meldungen über spektakuläre Zwischenfälle.

Insbesondere Brandereignisse ausgelöst durch Lithiumbatterien, bei denen Industrieunternehmen aber auch Gewerbebetriebe betroffen waren, hatten für die Betroffenen häufig existenzbedrohende Folgen.

Das spektakuläre Ausmaß wie auch die katastrophalen monetären Folgen von Bränden, die durch Lithiumbatterien ausgelöst wurden, haben zwangsläufig auch in der Versicherungswirtschaft die Aufmerksamkeit geweckt.

Redaktion: Welche typischen Gefahren werden am meisten unterschätzt?

Buser: Trotz der Medienpräsenz ist aus risikotechnischer Sicht festzuhalten, dass Lithiumbatterien und auch die entsprechenden Ladetechnologien bei ordnungsgemäßem Umgang und sachgerechter Handhabung als vergleichsweise sicher anzusehen sind.

Ungeachtet dessen bergen diese kleinen „Kraftwerke im Handtaschenformat" spezifische Gefahren, die besondere Herausforderungen für Personensicherheit und Brandschutz darstellen.

Aus der Verwendung bestimmter chemischer Verbindungen im Zusammenhang mit hohen Energiedichten und möglicher technischer Defekte ergeben sich bei Lithiumbatterien spezifische Gefahrenpotenziale, die eine besondere Sicherheitsbetrachtung erfordern. Hierbei steht insbesondere das Feuerrisiko im Fokus.

Redaktion: Die größten massenhaft eingesetzten Akkus werden in Elektro-Autos eingebaut. Was bedeutet die zunehmende Verbreitung dieser Stromspeicher für die Sicherheit der Eigentümer und Insassen im Betrieb sowie nach Unfällen auch für Passanten und Rettungskräfte?

Buser: International wird die Elektromobilität als die Zukunftstechnologie Nummer eins gesehen. Mit der Anzahl der Elektroautos steigt auch das spezifische Gefahrenpotenzial.

Feuerwehrleute und Rettungskräfte müssen sich im Brandfall zum einen gegen das Brandereignis selbst und im Fall von Lithiumbatterien gegen chemische Substanzen schützen. Weiterhin sind die Einsatzkräfte bei der Personenrettung aus und der Bergung von verunfallten Elektro- und Hybridfahrzeugen aufgrund der hohen Spannungen (über 600 Volt) besonderen Gefahren ausgesetzt.

Analog zum Bedarf nach modernen Energiespeichern wird auch der Bedarf nach Ladestationen entsprechend stark ansteigen. Durch das Errichten von Ladestationen im privaten wie auch im öffentlichen Bereich, sowie durch den Ausbau einer Ladeinfrastruktur werden sich neue Anwendergruppen mit dem Thema Sicherheit von Batterieladeanlagen auseinandersetzen müssen:

Elektroinstallateure, Eigenheim- und Immobilienbesitzer, Immobilienverwalter und Parkhausbetreiber, Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, Architekten und Städteplaner, Netzbetreiber und Energielieferanten sowie Unternehmen aus Industrie und Gewerbe, die Lithiumbatterien in ihrem Betrieb einsetzen. Folglich wird sich unweigerlich auch die Versicherungswirtschaft mit diesen Themen auseinandersetzen (müssen).

Redaktion: Was sollte Ihrer Meinung geschehen, um die Anwender besser über die Risiken aufzuklären?

Buser: Zunächst ist festzuhalten, dass es vordergründig darum geht, Aufklärung zu betreiben. „Panikmache“ wäre hier sicherlich der falsche Weg. Der Fokus liegt auf Öffentlichkeitsarbeit.

Lithiumbatterien sind verglichen mit konventionellen Batteriesystemen eine vergleichsweise junge Technologie. Darum sind entsprechende Sicherheitsratschläge für den gefahrlosen Umgang mit Lithiumbatterien noch nicht überall bekannt. Endverbraucher haben bisweilen keine Vorstellung von den potenziellen Sicherheitsrisiken und Brandgefahren, die bei unsachgemäßem Umgang mit Lithiumbatterien auftreten können.

Versicherungs-Unternehmen nehmen derartige Entwicklungen üblicherweise erst mit einer zeitlichen Verzögerung wahr, wenn es retrospektiv bereits zu einer signifikanten Erhöhung von Schäden gekommen ist. Insofern ist es erforderlich, über potenzielle Brandgefahren und Sicherheitsrisiken sachlich und unbefangen aufzuklären.

In diesem Zusammenhang wurde von Risk Experts (in Zusammenarbeit mit der Battery University) ganz aktuell im Rahmen des internationalen „Battery Experts Forum“ ein umfangreicher Sicherheitsratgeber (PDF-Datei) veröffentlicht. Der richtet sich an unterschiedliche Anwendergruppen, insbesondere an Versicherungs-Unternehmen und deren Underwriter und Risikoingenieure.

Redaktion: Welchen Einfluss hat die zunehmende Verbreitung von Lithiumbatterien bereits heute auf das Schadengeschen, und welche Versicherungssparten sind betroffen?

Buser: Die zunehmende Verbreitung von Lithiumbatterien wirkt sich naturgemäß auf die Erhöhung der Anzahl von Schadenereignissen aus. Die zumeist extrem verlaufenden Brandszenarien bei Anwesenheit von Lithiumbatterien haben zudem einen erhöhenden Einfluss auf das Schadenausmaß.

Betroffen sind insbesondere die Sparten der Feuerversicherung (Industrie und Gewerbe) sowie auch das Segment Haftpflicht (Betriebshaftpflicht, Produkthaftplicht, unter Umständen auch Umwelthaftpflicht).

Zunehmend sind Hersteller von mobilen elektronischen beziehungsweise elektrischen Anwendungen, in denen Lithiumbatterien eingesetzt sind, also Laptops, Digitalkameras, E-Bikes, Akkubetriebe Gartengeräte, Heimwerkermaschinen und Haushaltsgeräte et cetera, gezwungen, ihre Produkte wegen Sicherheitsrisiken bei den verwendeten Lithium-Akkus (insbesondere Brandgefahren) vom Markt zurückzurufen.

Ganz aktuell gibt es eine weltumspannende Rückrufaktion eines führenden Herstellers von Notebooks. Insofern ist auch die Sparte Rückrufkosten-Versicherung betroffen.

Redaktion: Welche Schaden-Entwicklung erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Buser: Die Erfahrung aus der Vergangenheit hat gezeigt, dass bei der Einführung neuer Technologien oder neuartiger Werkstoffe anfangs die Schäden in Anzahl und Intensität – und damit für die Versicherungswirtschaft auch monetär – sprunghaft ansteigen. Dieses Phänomen beobachtet man gegenwärtig im Zusammenhang mit Lithiumbatterien.

Erst durch intensive Aufklärung, zum Beispiel durch entsprechende Publikationen in Fachmagazinen wie dem VersicherungsJournal und durch aktive Schadenprävention, unterstützt durch die Risikoingenieure der Versicherungs-Unternehmen, wird es wie bei den oben genannten Veränderungsrisiken auch im Zusammenhang mit Lithiumbatterien gelingen, die gefahrenspezifischen Schadenquoten auf ein „normales“ Maß zurückzuholen.

Redaktion: Was könnte und sollte die Versicherungswirtschaft tun, um sich vor einem Anstieg der Schadenquoten zu wappnen?

Buser: Die internationale Versicherungswirtschaft befasst sich bereits seit geraumer Zeit intensiv mit diesem Thema. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) hat bereits 2010 eine international zusammengesetzte Expertenkommission aufgestellt, in der sich Fachleute aus unterschiedlichen Branchen zum Thema „Schadenverhütung und Risikomanagement beim Umgang mit und Lagerung von Lithiumbatterien“ ausgetauscht haben. Risk Experts hat als Mitglied dieser Expertenkommission die Versicherungswirtschaft fachlich unterstützt.

Von dieser Projektgruppe wurde seinerzeit das Merkblatt VdS-3103 (Lithiumbatterien) (PDF-Datei) erarbeitet, das ganz aktuell in einer überarbeiteten Version herausgegeben wurde. Auch wurden im Auftrag des GDV unter fachlicher Leitung dieser Expertenkommission und unter beratender Begleitung von Risk Experts von der VdS Schadenverhütung GmbH Großbrandversuche an E-Bike-Akkus durchgeführt.

Vordergründig steht die Versicherungswirtschaft gegenwärtig vor einem sogenannten „Veränderungsrisiko“ und damit vor der Herausforderung, die neue „Gefahrerhöhung“ durch Lithiumbatterien als solche auch in den Risikobewertungen abzubilden. Weiterhin gilt es, diese Zusatzgefahren in den Prämienberechnungen beziehungsweise in der aktuariellen Berechnung der Schadenbedarfsprämie zu berücksichtigen.

Andererseits ist es im Sinne einer guten Kundenbetreuung Aufgabe der Versicherungs-Gesellschaften, den Versicherungsnehmer auf die besonderen Gefahren bei der Lagerung und beim Umgang mit Lithiumbatterien hinzuweisen.

Die Fragen stellte

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

zurück