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Milliardenbelastung durch schwere Personen­schäden

18.05.2017

Schwere Personenschäden werden immer teurer – und aktive Schadenminderung immer wichtiger. Eine solche Steuerung kann zudem viele Produkte attraktiver machen. Welche Trends Fachleute erwarten, war Thema einer Fachkonferenz.

Erfolgreiches Reha-Management ist für Opfer, Anwälte und Versicherer ein Win-win-Geschäft. Die Betroffenen sind zufrieden und die Versicherungs-Gesellschaften haben niedrigere Kosten. Doch noch ist die positive Steuerung von Personenschäden nicht überall bekannt, wie sich gestern auf der MCC-Fachkonferenz „Personenmanagement 2017“ zeigte. Die stark gestiegenen Kosten für Personenschäden würden vor allem durch eine überdurchschnittliche Entwicklung bei der Pflege bestimmt.

Der Anteil der Leistungen für die Pflege bei Personenschäden in der Kfz-Haftpflichtversicherung ist laut Dr. Michael Pickel, Mitglied des Vorstands der E+S Rückversicherung AG, von 2004 bis 2016 von 38 Prozent auf 50 Prozent gestiegen.

Michael Pickel (Bild: Schmidt-Kasparek)
Michael Pickel (Bild: Schmidt-Kasparek)

„Es wird immer öfter üblich, dass drei Betreuer einen Schwerverletzten zu Haus rund um die Uhr bis ans Lebensende pflegen“, sagte Pickel gestern auf der MCC-Fachkonferenz „Personenmanagement 2017“.

Die Versicherer müssten daher künftig immer häufiger mit Personenschäden rechnen, die mehr als eine Million Euro kosten.

Schon im Jahr 2015 hatte die E+S Rück in Deutschland 260 solcher Schäden gezählt. Sie machten elf Prozent des gesamten Schadenaufkommens in der Kfz-Haftpflichtversicherung von insgesamt fünf Milliarden Euro aus.

Schneller beim Opfer

Höhere Sicherheitstechnik im Fahrzeug würde die Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr zwar senken, aber gleichzeitig die Zahl der Schwerverletzten erhöhen. Pickel: „Heute wird über Telematik sofort gemeldet, wo sich ein Unfall ereignet hat. Die Opfer kommen daher viel schneller ins Krankenhaus und haben so eine bessere Überlebenschance.“

Höhere Kosten erwartet der Rückversicherer auch bei Schmerzensgeldern. Hier wird nach Einschätzung von Pickel auch bei Autounfällen die Millionenmarke bald überschritten. Für einen Geburtsschaden sei einer Familie bereits 700.000 Euro zugesprochen worden, erläuterte der Versicherungsvorstand. Er warnte die Branche davor, Grundsatzfragen gerichtlich vor dem Bundesgerichtshof entscheiden zu lassen.

Die Rechtsprechung sei derzeit geschädigten- und verbraucherfreundlich. Längere Abwicklungszeiten würden immer die Gefahr in sich bergen, dass die Schäden viel teurer ausfallen. „Das Unfallopfer sollte in den Mittelpunkt der Regulierung gestellt werden“, forderte Pickel die Branche auf. Dafür sei es sinnvoll, dass Erstversicherer verstärkt Reha-Dienstleister nutzen.

Sofort regulieren

Das Problem: Nicht alle schweren Personenschäden eignen sich für eine kostensparende Schadensteuerung. „Wir haben daher aktuell das Kompendium ‚Unfallmedizin für Juristen‘ 10.000 Mal verteilt“, erläuterte Wolfgang Leitner, Key Account Manager Vertrieb & Marketing bei der Rehacare GmbH. Das Werk enthält Hinweise, ab welchem Unfallbild ein Reha-Management sinnvoll ist.

Wolfgang Leitner (Bild: Schmidt-Kasparek)
Wolfgang Leitner (Bild: Schmidt-Kasparek)

„Das Reha-Management der Sozialversicherer ist nicht immer schlecht, aber oft ist es nicht ausreichend“, so Leitner. Professionelle Serviceanbieter würden immer sofort auch die berufliche Rehabilitation starten.

„Bei jedem Reha-Management können Versicherer zwischen 40.000 und 50.000 Euro sparen“, sagte der Rehacare-Manager.

Kooperation mit kleinen Versicherern

Sein Unternehmen arbeitet mit den meisten großen Kfz-Versicherern zusammen. Kleinere Versicherer müssten noch für das Reha-Management sensibilisiert werden.

So hat jetzt Rehacare die Uelzener Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft a.G. im Bereich Tierhalterhaftpflicht für seinen Service gewonnen und bereits zehn Schadenfälle abgewickelt.

Wie stark das Einsparpotential für Versicherer sein kann, dokumentiert ein Fall der Versicherungskammer Bayern. Hier soll das Reha-Management einem schwer verletzten Schüler helfen, eine Berufsausbildung zu machen. Dafür wurden bisher rund 13.000 Euro investiert.

Sollte der Fall erfolgreich abgeschlossen werden, spart der Versicherer die Rente aus der Berufsunfähigkeits- (BU-) Versicherung, die sich auf bis zu 264.000 Euro belaufen könnte.

Trend zu Reha-Management als Produktbestandteil

Im Trend liegt es derzeit, das Reha-Management bei der privaten Unfallversicherung, der BU-Versicherung und der privaten Krankenversicherung als Produktbestandteil einzusetzen. „Das machen immer mehr Versicherer“, erläuterte Hauke Neumann, geschäftsführender Gesellschafter der Reha Assist Deutschland GmbH, die zur Gruppe der Öffentlichen Versicherer gehört.

Im vergangenen Jahr hätten bereits 20 von Reha Assist betreute Versicherte aus ihrer Police aktiv ein Reha-Management eingefordert. Scheinbar sind aber nicht alle Versicherer schon heute bereit, ein aktives Reha-Management und eine schnelle Schadenregulierung anzubieten.

So kritisierte die Fachanwältin für Verkehrsrecht Cordula Schah Sedi, dass viele Versicherer noch immer Schadenfälle mutwillig verzögern würden. Reha-Management müsse daher auch bei den Sachbearbeitern der Versicherer stärker bekannt gemacht werden. Für Versicherungsvermittler bietet Reha Assist bereits im Rahmen der Initiative „gut beraten“ Schulung zum Reha-Management an.

Laut Leitner sind aber auch viele Anwälte nicht in der Lage, komplexe Personenschäden kompetent abzuwickeln. Das gelte auch für Verkehrsanwälte. „In 95 Prozent der Fälle beschäftigen sich die meisten Juristen nur mit Blechschäden“, so Leitner. Autoversicherer müssten künftig bei Personenschäden mit Todesfolge mit deutlich höheren Kosten rechnen.

Angehörigen-Schmerzensgeld kommt

„Das Angehörigen-Schmerzensgeld wird kommen“, prophezeite E+S-Rück-Vorstand Pickel. Nach seiner Einschätzung könnte es sogar noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden.

Problematisch ist für ihn, dass im Gesetzentwurf keine Deckelung der Summe pro Angehörigem vorgesehen ist. Die Erfahrung aus Ländern wie Italien, Griechenland und Bulgarien hätten gezeigt, dass dadurch die Regulierung sehr verzögert würde. „Die Summen schießen dort regelrecht durch die Decke“, so Pickel.

Für Deutschland rechnet der Experte damit, dass wohl 20.000 Euro pro Betroffenen gezahlt werden wird. Nach einer Hochrechnung der E+S Rück würde dann der Mehraufwand für die Kfz-Versicherer bei 480 Millionen Euro liegen.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

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