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Auf­fällig­keiten aus Sicht der Ge­richte zur Schaden­regu­lie­rung

17.07.2013

Die Umfrage des Bundesjustizministeriums zur Regulierungspraxis ist für die Assekuranz zwar insgesamt positiv ausgefallen. An kritischen Äußerungen der Gerichte mangelt es jedoch nicht - allen voran beim Amtsgericht Berlin-Mitte.

In der Diskussion um die Praxis der Schadenregulierung kommen die Landesjustizverwaltungen zu dem für die Assekuranz erfreulichen Ergebnis, dass aus Sicht der Gerichte keine systematische Verzögerungstaktik festzustellen ist. Dennoch: Aus den Stellungnahmen an das BMJ wird deutlich, dass der Vorwurf einer verschleppenden Bearbeitung nicht völlig an den Haaren herbeigezogen ist. Das Amtsgericht Berlin Mitte hat sogar tatsächlich eine zunehmende Tendenz der Versicherer beobachtet, den Streit über die Höhe des Schadens vor Gericht auszutragen.

Das Bundesjustizministerium (BMJ) hatte im Frühjahr nach gehäuften Medienberichten über eine verzögerte oder gar verweigerte Schadenregulierung durch Versicherer eine Umfrage unter den Landesjustizverwaltungen zu diesem Thema gestartet.

Auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft E.V. hat dem BMJ eine mit konkreten Zahlen unterlegte Stellungnahme eingereicht. Der GDV kommt abschließen zu dem Ergebnis, dass die Versicherer im Interesse der Versicherten und Geschädigten eine „interessengerechte, hochprofessionelle Schaden- und Leistungsfallbearbeitung“ betreiben und eine systematische Regulierungs-Verzögerung nicht stattfinde.

Aus den Stellungnahmen der Landesjustizverwaltungen lässt sich größtenteils ebenfalls keine systematische Verzögerungstaktik ablesen.

Schematisierende Einwendungen

So verneint die gerichtliche Praxis in Mecklenburg-Vorpommern eine Zunahme von kritikwürdigem Verhalten der Versicherer. Nach deren Stellungnahme tritt allerdings „ein derartiges Verhalten in Einzelfällen“ doch auf. So sei die Vergleichsbereitschaft der Versicherer „eher gering“. Eine gütliche Einigung komme häufig auch bei geringen Streitwerten oder Beweisergebnissen zulasten der Versicherer nicht zustande.

Diese Erfahrung wird ebenfalls in Rheinland-Pfalz geteilt. Hier wird ebenfalls „über Einzelfälle“ berichtet, in denen auch nach langer Prozessdauer noch keinerlei oder nur unangemessen geringe Zahlungen erbracht worden seien. Und dies, obgleich zumindest die teilweise oder gar überwiegende Eintrittspflicht des Versicherers naheliegend gewesen sei.

Hin und wieder würden in Rheinland-Pfalz von Versicherern zum Teil schematisiert Einwendungen erhoben, die sich nach der Beweisaufnahme als haltlos erwiesen. Vereinzelt wurde auch berichtet, dass in letzter Zeit vermehrt Klagen unmittelbar nach ihrem Eingang wieder zurückgenommen worden seien.

Die Präsidentin eines Landgerichts in Baden-Württemberg weist darauf hin, dass Versicherungsunternehmen nach Klageerhebung, aber vor mündlicher Verhandlung, noch Leistungen erbringen würden. Hierbei sei nicht feststellbar, worauf dies zurückzuführen ist.

„Verbissene“ Verteidigung bei hohen Streitwerten

Der Präsident eines anderen Landgerichts gibt zu bedenken, dass gerade bei hohen Streitwerten, insbesondere bei Feuer- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, die Verteidigung „verbissen“ geführt werde. Ein weiterer Landgerichtspräsident in Baden-Württemberg merkt an, dass es Fallkonstellationen (etwa HWS-Verletzungen im Rahmen von Verkehrsunfällen) gebe, in denen die Versicherungen nicht kompromissbereit seien.

Der Präsident eines anderen Landgerichts in Baden-Württemberg gibt für diese Fallkonstellation zu bedenken, dass sich die Haftpflichtversicherer darüber bewusst seien, dass der Geschädigte den objektiven Kausalnachweis nur schwer erbringen könne. Die Präsidentin eines anderen Landgerichts bemängelt, dass Versicherer nach einer für sie ungünstigen Beweisaufnahme teilweise nicht bereit seien, ihre ablehnende Haltung aufzugeben.

Weiterer Kritikpunkt: Die Versicherer würden außergerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten nicht stets dem Geschädigten vorlegen und teilweise sogar lediglich die Einholung eines solchen Gutachtens behaupten, wie eine weitere Landesgerichtspräsidentin anmerkte.

Und die Präsidentin eines Amtsgerichts regt die Prüfung an, über eine Beweislastumkehr oder zumindest über Beweiserleichterungen bei nachweisbarer Regulierungsverzögerung nachzudenken.

Sonderfall Berlin-Mitte

Von anderen Gerichten abweichende Erfahrungen werden dagegen beim Amtsgericht Berlin Mitte festgestellt. In der Antwort an das BMJ heißt es, dass die Frage nach einer „zermürbenden“ Regulierungspraxis sich insbesondere bei den beim Amtsgericht Mitte konzentrierten zivilrechtlichen Verkehrssachen stelle, in denen bei Beteiligung von Kraftfahrzeugen regelmäßig auch der dahinterstehende Haftpflichtversicherer in Anspruch genommen werde.

Hier lasse sich in der Tat eine zunehmende Tendenz der Versicherer beobachten, den Streit über die Schadenhöhe auch hinsichtlich kleiner Differenzbeträge vor Gericht auszutragen. Dies auch auf die Gefahr hin, dass die im Falle eines (teilweisen) Unterliegens zu tragenden Gerichts- und Anwaltsgebühren die streitige Differenz bei weitem überstiegen.

Dies betreffe nicht nur Streitigkeiten über die Höhe von Schmerzensgeld-Forderungen, sondern in einem deutlich größeren Umfang materielle Schadensersatzansprüche, etwa die Höhe der fiktiv abgerechneten Reparaturkosten, die Angemessenheit von Gutachter- und Mietwagenkosten bis hin zur Angemessenheit der vorprozessual angefallenen Anwaltsgebühren.

Verteidigungshaltung häufig berechtigt

Da bekanntlich nur ein kleiner Bruchteil der Schadenabwicklungen nicht vollständig im außerprozessualen Bereich abgeschlossen werde, könne davon ausgegangen werden, dass der an den Tag gelegte „Sparkurs“ in den weitaus meisten Fällen schon deswegen von Erfolg gekrönt sei, weil die Geschädigten eine gerichtliche Auseinandersetzung scheuten.

Soweit allerdings das Amtsgericht Mitte hier abweichende Erkenntnisse habe, wird zusammenfassend angemerkt, ließen die mitgeteilten Beobachtungen keine Rückschlüsse auf ein gehäuft auftretendes rechtsmissbräuchliches Verhalten auf Seiten der Versicherungen zu. Die zu beobachtende Verteidigungshaltung habe, heißt es einschränkend, häufig durchaus ihre Berechtigung.

Umar Choudhry

Autor: Gastautor

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