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Richterliche Ohrfeige für Kranken­kassen

14.08.2017

Bestehen Zweifel, ob beantragte Leistungen genehmigungsfähig sind, bedienen sich gesetzliche Krankenkassen der Hilfe von Gutachtern. Dass dabei einiges schief gehen kann, belegen zwei aktuelle Urteile.

Beauftragt eine gesetzliche Krankenkasse einen Gutachter, um zu klären, ob sie zur Leistung verpflichtet ist, so darf er sich dabei ausschließlich des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bedienen. Beruft die Kasse sich auf einen anderen Gutachter, gilt die Leistung als genehmigt, so das Bayerische Landessozialgericht in zwei Ende letzter Woche veröffentlichten Entscheidungen vom 27. Juni 2017 (L 5 KR 170/15 und L 5 KR 260/16).

Im ersten Fall der beiden kürzlich vor dem Bayerischen Landessozialgericht verhandelten Fälle mit dem Aktenzeichen L 5 KR 170/15 ging es um ein Kind, welches unter einer schweren Zahnfehlstellung litt. Die Eltern beantragten daher bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse, ihr Kind kieferorthopädisch behandeln zu lassen.

Rechtswidrig?

Die Kasse lehnte den Antrag unter Hinweis auf ein von ihr eingeholtes, lediglich eine DIN-A-4-Seite umfassendes Gutachten der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab. Dabei wies die Körperschaft darauf hin, dass der Gutachter festgestellt habe, dass eine derartige Behandlung nicht erforderlich sei.

Erst ein Jahr später wurde der Antrag auf Basis eines geänderten Antrags genehmigt. In der Zwischenzeit mussten dem Kind mehrere Zähne gezogen werden. Es hatte außerdem unter schweren Schmerzen gelitten.

Das Kind zog daher, vertreten durch seine Eltern, vor Gericht. Dort beantragte es die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Es begehrte außerdem die Feststellung, dass die zunächst erfolgte Ablehnung der Behandlung rechtswidrig gewesen sei. Zu Recht, urteilte das Bayerische Landessozialgericht. Es gab der Klage in vollem Umfang statt.

Verstoß gegen gesetzliche Aufgabenzuweisung

Grundlage für die Entscheidung war unter anderem ein ausführliches Gutachten eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen. Dieser war zu dem Ergebnis gekommen, dass von Anfang an eine kieferorthopädische Behandlung indiziert gewesen sei.

Nach Auffassung der Richter hätte die Kasse ihre anfangs ablehnende Haltung im Übrigen nicht auf das Gutachten der Kassenzahnärztlichen Vereinigung stützen dürfen.

Denn gesetzliche Krankenversicherungs-Träger seien auch bei zahnmedizinischen oder kieferorthopädischen Leistungsfällen dazu verpflichtet, ihre Entscheidung im Fall des Einholens eines Gutachtens ausschließlich auf Basis einer Expertise des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu fällen.

Die Beauftragung anderer Gutachter verstoße gegen die sogenannte gesetzliche Aufgabenzuweisung gemäß § 275 Absatz 1 SGB V sowie gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Sie sei daher rechtswidrig mit der Folge, dass auf Basis solcher Gutachten keine Entscheidung gefällt werden dürfe.

Schwere Mundtrockenheit

In dem zweiten entschiedenen Fall mit dem Aktenzeichen L 5 KR 260/16 ging es um die Klage einer Versicherten, welche bei ihrer Kasse die Übernahme der Kosten für eine Implantatversorgung beantragt hatte. Das begründete die Klägerin damit, dass wegen einer schweren Mundtrockenheit in Folge einer Tumorbehandlung keine Versorgung mit einer Prothese möglich sei.

Zur Prüfung des Antrages wandte sich die Körperschaft an einen niedergelassenen Zahnarzt. Dessen, wie im ersten Fall ebenfalls nur eine DIN-A-4-Seite umfassendes Gutachten reichte der Krankenkasse sieben Wochen nach Antragstellung als Grundlage für eine ablehnende Entscheidung aus.

Fristversäumnis

Nachdem die Versicherte Klage gegen ihre Kasse eingereicht hatte, landete der Fall schließlich ebenfalls vor dem Bayerischen Landessozialgericht. Dort erlitt die Körperschaft eine Niederlage.

Die Begründung des Gerichts war die gleiche wie die im Fall des anderen Kindes. Bei der Einholung eines Gutachtens hätte die Krankenkasse ihre Entscheidung ebenfalls nur auf eine Expertise des MDK stützen dürfen. Im Übrigen habe sie die gesetzliche Entscheidungsfrist von drei Wochen überschritten. Der Antrag der Klägerin habe daher als genehmigt gegolten.

Denn wenn eine Krankenkasse ihre Entscheidung rechtswidrig nicht auf Basis eines Gutachtens des MDK fälle, könne er sich auch nicht auf eine längere Entscheidungsfrist berufen.

Die Richter sahen in den beiden entschiedenen Fällen keine Veranlassung, eine Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

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