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IDD-Um­set­zung be­trifft ein hal­be Mil­li­on be­ra­tend Tä­ti­ge

22.06.2017

Als „Quantensprung an Regulierung“ wurde die neue europäische Vermittlungsrichtlinie auf einer BWV-Tagung in Hannover bezeichnet. Was auf Unternehmen, Mitarbeiter und Vertrieb zukommt, berichten André Becker und Björn Fleck.

Spätestens Ende Februar 2018 muss die Umsetzung der neuen europäischen Versicherungsvertrieb-Richtlinie in nationales Recht erfolgt sein. Auf einer Fachtagung des Berufsbildungswerks Mitte Juni in Hannover wurden die damit einhergehenden Auswirkungen auf Beratung und Weiterbildung diskutiert. Ein Fazit der Teilnehmer: Der Aufwand bei der Konzeption von Produkten und zur Qualitätssicherung in der Beratung wird steigen. Von der Veranstaltung berichten André Becker und Björn Fleck in einem Gastbeitrag.

Die Umsetzung der europäischen Versicherungsvertriebs-Richtlinie Insurance Distribution Directive (IDD) in nationales Recht war am 19. Juni Hauptthema der diesjährigen Jahrestagung des Berufsbildungswerks der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e.V. Hannover. Begrüßt wurden die rund 90 Teilnehmer durch die Geschäftsführerin Angelika Garche-Krüger, die anlässlich der Veranstaltung auch langjährige Prüferinnen und Prüfer sowie Dozenten ehrte.

Doris Schilcher (li.) und Angelika Garche-Krüger (re.) (Bild: BWV Hannover)
Doris Schilcher (li.) und Angelika Garche-Krüger (re.)
(Bild: BWV Hannover)

Als Referenten konnten zwei ausgewiesene Fachleute gewonnen werden: Dr. Christian Schwirten, Leiter der Abteilung politische Interessenvertretung des Verbands öffentlicher Versicherer (VÖV), und Doris Schilcher von der Initiative „gut beraten“ berichteten über den Stand der Dinge.

„Quantensprung der Regulierung“

Da die EU-Richtlinie bis spätestens 23. Februar 2018 in nationales Recht umgesetzt sein muss, wird in Deutschland seitens der Politik eine Neuregelung noch vor der Bundestagswahl im September angestrebt. Im Fokus der Neuerungen stehen alle Vertriebswege und der Verbraucherschutz.

Die IDD ist für die Versicherungs-Unternehmen und Banken von höchster Bedeutung, da es unter anderem um die Frage geht, ob das in Deutschland bislang übliche Provisionsmodell trotz neuer Verbraucherschutz-Vorschriften erhalten bleiben kann. Gegenüber der alten EU-Versicherungs-Vermittlungsrichtlinie (IMD) sei die IDD eine Art „Quantensprung an Regulierung“, so Schwirten.

Den nationalen Gesetzgebern bliebe bei der Umsetzung erheblich weniger Spielraum als noch bei der bislang geltenden IMD-Richtlinie aus dem Jahr 2007. Dabei stelle die IDD noch immer eine Minimal-Harmonisierung auf EU-Ebene dar, wenngleich der Trend zur Vollharmonisierung erkennbar ist.

Etwa eine halbe Million Menschen beratend tätig

Die IDD wird weitreichende Auswirkungen auf den Vertrieb von Versicherungsprodukten haben. Nicht nur Personen im direkten Vertrieb, sondern auch Innendienstmitarbeiter mit Kundenkontakt von Versicherungs-Unternehmen werden betroffen sein.

Rechnet man alle Beteiligten (Versicherungsvermittler, deren Mitarbeiter, Innendienstmitarbeiter von Versicherern und sogar Banken et cetera) zusammen, kommt man bundesweit auf über eine halbe Million Menschen, die in irgendeiner Weise für Kunden beratend tätig sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob eine Kundenberatung als Haupttätigkeitsfeld ständig oder – im extremen Beispiel – nur einmal im Jahr ausgeübt wird.

Hier steht der Gesetzgeber auf dem Standpunkt, dass jeder, der Kunden berät, unabhängig vom Volumen, bestimmte Qualitätsmindest-Anforderungen zu erfüllen hat. Die permanente Weiterbildung dieses großen Personenkreises wird zukünftig ein wesentlicher Punkt dieser Anforderungen sein.

In seinem Vortrag ging Herr Dr. Schwirten insbesondere auf die vier nachfolgenden Themenfelder ein.

1. Informationspflichten

Zukünftig ist der Kunde vom Berater über sämtliche Kosten und Gebühren des Versicherungsproduktes zu informieren. Diese Regelung soll Transparenz für den Kunden herstellen.

Zuvor ist, ähnlich wie beim Verkauf von Finanzprodukten (beispielsweise Fonds), vom Vermittler zu prüfen, ob das Produkt überhaupt seiner Risikoklasse nach für den Kunden geeignet ist. Sollte das nicht der Fall sein, ist gegebenenfalls keine Produktempfehlung möglich beziehungsweise ist vom Vermittler ein anderes geeignetes Produkt anzubieten.

Christian Schwirten (Bild: BWV Hannover)
Christian Schwirten (Bild: BWV Hannover)

2. Beratungsprozess

Die Beratungspflicht im Fernabsatz wird in Deutschland vom Gesetzgeber im Rahmen der IDD-Umstellungen neu geregelt. Künftig kann der Versicherungsnehmer nur in Textform den Beratungsverzicht erklären.

Voraussichtlich wird es zu einer Streichung des § 6 Absatz 6 VVG kommen, in welchem bislang bestehende Ausnahmen von der Beratungs- und Dokumentationspflicht von Versicherungs-Unternehmen geregelt sind, wenn ein Makler einen Vertrag vermittelt.

3. Produktentwicklung

Die Versicherungs-Unternehmen müssen zukünftig allen Vertreibern ihrer Produkte alle sachgerechten Informationen zum Versicherungsprodukt zur Verfügung stellen. Das Produktfreigabe-Verfahren wird für die Unternehmen bürokratisch aufwendiger werden. Unter anderem ist für jedes (neue) Produkt vorher ein bestimmter Zielmarkt festzulegen.

Die Vertriebsstrategie muss diesem Zielmarkt entsprechen. Überwacht wird das Ganze durch die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (Eiopa).

4. Aus- und Weiterbildung der Vermittler und Mitarbeiter

Mit der Umsetzung wird eine kontinuierliche Fort- und Ausbildung zur Pflicht werden. Diese dient dem Verbraucherschutz. Die Weiterbildung wird dabei als eine Art Kontrollmechanismus zur Qualitätssicherung verstanden.

Die IDD sieht 15 Zeitstunden Weiterbildung pro Jahr vor. Diese Anforderung gilt, wie oben bereits erwähnt, für alle, die beratend tätig werden. Betroffen sind Außen- und Innendienst, ausdrücklich auch Teilzeitberater.

Mögliche Sanktionen bei einer Nichterfüllung stehen noch nicht fest. Es ist jedoch durchaus vorstellbar, dass ohne den Nachweis der geforderten Fortbildung keine weitere Beratungs- und Vermittlungstätigkeit mehr zulässig ist. Ob dieses bereits bei einer fehlenden Stunde der Fall sein wird oder ob Fehlstunden in einem definierten Zeitraum nachgeholt werden können, wird erst in den Durchführungs-Verordnungen zu lesen sein.

Derzeit ist immer noch unklar, wer zukünftig überhaupt Weiterbildungen durchführen und zertifizieren darf. Dieses werden nicht nur selbstständige Anbieter sein, wie beispielsweise das BWV. Vorstellbar ist ebenso, dass Versicherungs-Unternehmen eigene Schulungen für ihre Mitarbeiter nach entsprechender Genehmigung durchführen dürfen, die dann auf die Zeitstunden anerkannt werden.

Initiative „gut beraten“ kann ausgebaut werden

Doris Schilcher von „gut beraten“ – die Initiative ist bislang eine freiwillige Einrichtung der Versicherungsbranche – stellte in ihrem Vortrag klar, dass „gut beraten“ IDD-konform werden wird. Die Branche wird an der Initiative auch nach der Umsetzung voraussichtlich festhalten.

Dafür sind einige Anpassungen erforderlich. Ein Ausbau von „gut beraten“ zur zentralen Plattform für Weiterbildung, ist aus Sicht der Verantwortlichen vorstellbar. Als ein Grund hierfür wurde die bereits bestehende gut strukturierte und technisch komfortable Weiterbildungsdatenbank genannt.

Die bisherigen Standards von „gut beraten“ gehen zudem weit über die Anforderungen der IDD hinaus. Der eigene freiwillige, höhere Standard soll im Interesse der Mitglieder und Teilnehmer auch zukünftig beibehalten werden. Schon jetzt sind über 125.000 Personen freiwillig dabei, mit ansteigender Tendenz.

Produktschulungen werden zukünftig weiterhin anrechnungsfähig bleiben, Schulungen zu Produktwerbungen dagegen nicht mehr. Wie der genaue Nachweis der Weiterbildung dann zu führen ist und wer genau welche Kontrollfunktionen ausüben wird, steht zurzeit noch nicht fest.

Jahrestagung (Bild: BWV Hannover)
Gäste der diesjährigen Jahrestagung des Berufsbildungswerks am 19. Juni in Hannover (Bild: BWV Hannover)

Fazit

Festzuhalten bleibt, dass für den vergleichsweise großen Personenkreis von über einer halben Million Menschen die Organisation einer 15-stündigen Weiterbildung pro Jahr einen beträchtlichen Aufwand erfordert. Andererseits kommt die Weiterbildung nicht nur den Kunden, sondern auch den Vermittlern zugute. Haben sich erst alle Beteiligten an die kontinuierliche Weiterbildung gewöhnt, wird sie vermutlich als Instrument der Qualitätssicherung verstanden und geschätzt werden.

Als Fazit der BWV-Veranstaltung kann festgehalten werden:

  • Das provisionsbasierte System im Versicherungsvertrieb kann in Deutschland beibehalten werden.
  • Die IDD hat eine klare Ausrichtung auf den Endverbraucher (Kunden) und soll für mehr Transparenz sorgen.
  • Versicherungs-Unternehmen werden einen höheren Aufwand in der Konzeption ihrer Produkte haben.
  • Die Anforderungen an alle Vertreiber von Versicherungsprodukten nehmen zu, 15 Stunden Weiterbildung pro Jahr werden zur Pflicht.

André Becker, Björn Fleck

Björn Fleck ist Jurist und seit 2001 für eine Versicherungs-Gesellschaft tätig. Zu Branchenthemen führt er seinen eigenen Blog Versicherungselemente.de. André Becker hat eine Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen abgeschlossen und war mehrere Jahre Versicherungsmitarbeiter. Als Autoren haben sie das Praktikerhandbuch „Versicherungsvermittler als Arbeitgeber“ im VersicherungsJournal-Verlag veröffentlicht.

Quelle: VersicherungsJournal Verlag GmbH

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